m:oral decline in tennis

Found this German article in the F.A.Z. The author complains about a significant moral decline at all grand slams except Wimbledon. So agreed!! Especially I like him mentioning the capitalistic aspect of it all. The mentality to say “If I purchase a product like a seat at a tennis match I’m the only one to decide what to do with it.

 


Frankfurter Allgemeine 07.025028 7 Akmalisiort 07.00.2088, 20:28 Uhr

Pöbeleien bei den US Open
Sittenverfall im Tennis

Beleidigungen, Pöbeleien, Pfiffe: Das respektlose Verhalten von Zuschauern in
New York wird immer schlimmer. Weil die Schiedsrichter offenbar
kapitulieren, müssen die Profis selbst für Ordnung sorgen.

Von THOMAS KLEMM, NEW YORK

© picture alliance / ZUMAPRESS.com
Mit kapitalistischer Grundhaltung: Fans bei den US-Open in New York

Wimbledon ist etwas Besonderes, heißt es stets: der grüne Rasen, die weiße Kleidung, die
Tradition und das ganze Pipapo. Was das bekannteste der vier Grand-Slam-Turniere aber
besonders auszeichnet: Es geht an der Church Road gesittet zu.

Das englische Publikum hat zwar ebenso eine starke Neigung zu den eigenen Landsleuten wie
die Australier in Melbourne, die Franzosen in Paris und die Amerikaner bei den US Open.
Doch folgt der Engländer dem Geschehen weitgehend mit Fairness und Nüchternheit.

Jedes der drei anderen Großturniere ist dagegen auf seine Weise laut, rüde, schrill. In diesem
Jahr, so wirkt es, ist alles sogar noch schlimmer. So ging das Publikum bei den French Open
im Frühjahr mit ausländischen Tennisprofis noch erbarmungsloser um als zuvor.

Angewidert und entsetzt

Die Ungnade gipfelte im Verhalten gegenüber dem Amerikaner Taylor Fritz, dessen
Siegerinterview auf dem Platz nicht zustande kam, weil Hunderte Franzosen minutenlang auf
ihn pfiffen. Bei den laufenden US Open ist ungebührliches Verhalten gar an der
Tagesordnung: Rufe in den Konzentrationsphasen der Spieler zwischen dem ersten und
zweiten Aufschlag, Beleidigungen, zu denen sich Zuschauer auf den teuren Plätzen hinreißen
lassen, Pöbeleien und Pfiffe, wenn ein Spieler sich auch nur anschickt, beim Schiedsrichter
etwas nachzufragen. New Yorker Tennisfans, die seit Jahren die US Open besuchen, sind
angewidert und entsetzt.

Dass viele Zuschauer ins Extreme verfallen und ihre Missbilligung bar jeder Selbstkontrolle
äußern, haben Sozialwissenschaftler mit „gekränkter Freiheit“ und „Massenradikalisierung“
erklärt. Vor allem die Einschränkungen während der Covid-Pandemie und die Eskalation in
den sozialen Medien hätten die Leute dünnhäutiger gemacht.

Bei den US Open in New York kommt eine kapitalistische Grundhaltung hinzu: Habe man
ein Produkt oder eine Dienstleistung gekauft, beispielsweise die Teilhabe an einem
Tennismatch, dann habe man damit auch das Recht erworben, damit umzugehen, wie man
will. Die Leidtragenden sind im Zweifel die Produzenten, also die Profis, die eine sportliche
Show zeigen wollen, aber vergeblich auf Respekt zählen.

In diesem Zivilisationskampf werden die Spieler alleingelassen. So haben Profis wie Zverev,
Djokovic und Medwedew New Yorker Störenfriede nicht nur mitten im Match identifiziert,
sondern auch dafür gesorgt, dass sie zum Schweigen gebracht oder gar des Stadions
verwiesen werden. In den meisten Fällen versuche er zwar die Pöbeleien zu ignorieren, sagte
Djokovic, aber in heiklen Momenten platze ihm auch der Kragen.

Wer pöbelt, hat meist getrunken

Bedenklich ist, dass die Spieler selbst zu Ordnungshütern werden (müssen). Die
Schiedsrichter greifen selten durch, haben womöglich schon kapituliert. Nach Einführung
der elektronischen Zeit-, Netz- und Linienüberwachung sowie des Videobeweises haben die
Referees nicht viel mehr über die Angabe des Spielstandes hinaus zu sagen. Diese
Degradierung schadet ihrer Autorität.

Zudem sind die Veranstalter der Grand-Slam-Turniere schneller dabei, einen Spieler wegen
eines Fluchs zu bestrafen als sich Zuschauer wegen ständiger Beleidigungen vorzuknöpfen.
Auch das folgt der kapitalistischen Logik. Wer pöbelt, hat vorher meist Alkohol getrunken.
Wer reichlich wodkahaltige „US Open Signature Cocktails“ konsumiert hat, hat dafür viel
Geld bezahlt. Und zwar Geld, das dem amerikanischen Tennisverband, der die US Open
veranstaltet, zugutekommt — und das auch in die Nachwuchsförderung gesteckt wird.

Vermutlich muss man die ganze Sache nüchtern sehen. Die jeweils drei Millionen Dollar, die

die Gewinner der Einzelkonkurrenzen erhalten, sind nicht nur Siegprämie, sondern auch
Schmerzensgeld.

Quelle: FA.Z.

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